Das Buch Der Geheimbericht zu Marzebilla von Petr Mikšíček
Ab 2010 begab sich unabhängig voneinander eine Gruppe Enthusiasten im Erzgebirge auf die Suche nach Marzebilla. Im Jahre 2015 wurde ihr Vorhaben von den Regionen Ústí nad Labem und Karlovy Vary unterstützt. Sie alle vereinten ihre Kräfte im Rahmen des Vereins der Marzebillogen. Diese kulturwissenschaftliche Rettungsaktion wollte das in Vergessenheit geratene Epos von Marzebilla rekonstruieren. Die Mitglieder des Teams entdeckten bis zu dieser Zeit unbekannte oder geheime Indizien zum Wirken der sagenhaften Marzebilla im Erzgebirge. Sie fanden viele Orte, die mit dem Leben der Marzebilla und ihr nahestehender Menschen in Verbindung stehen. Die Rekonstruktion des Lebens der Marzebilla wurde später an Tausenden Zuhörern und Zuschauern getestet, um Teilstücke weiterer Beobachter ergänzt und fünf Jahre später endlich veröffentlicht. Eine Aufzählung der involvierten Fachleute finden Sie im einleitenden Text.
Einleitung
Eine Geschichte mit vielen Zutaten zu verfassen und zu kreieren ist sehr schwierig. Vor allem, wenn man ein Geschehen ab dem 16. Jahrhundert bis heute beschreiben möchte. Wie soll man an ein solches Unterfangen herangehen? Welcher Zeit den Vorrang geben? Wie die Geschichte erzählen? Welches Genre wählen? Wie ein Buch schreiben, das für alle gedacht ist – Groß und Klein? Mädchen und Jungen? Tschechen und Deutsche? Romantiker und Realisten? Wie könnte man in die Handlung die grundlegenden Attribute des Erzgebirges hineinkomponieren? Nebel, Wind und Denkmale des Bergbaus? Wie bekannte Persönlichkeiten und Ereignisse aus dem Erzgebirge vorstellen? Und wie dies alles miteinander verbinden, damit es nicht auseinanderfällt? Gerade dies hat mich fünf lange Jahre beschäftigt …
So etwas ist sehr persönlich, man schämt sich, ist sich nicht sicher, man zweifelt, Kritik verärgert einen, und Lob schenkt man keinen Glauben. Der Autor legt fürchterlich viele Kilogramm zu, geht seiner Umgebung auf die Nerven, vor allem seinen Nächsten. Man macht viele Bekannte wütend, mit denen man die Geschichte durchdenkt, Kollegen, die versuchen, ehrlich und unparteiisch und gerade deshalb kritisch zu sein.
Die Suche nach der Marzebilla dauerte sehr lange, und die Entstehung des Buches war die komplizierteste kreative Aufgabe, vor der ich je stand. Die Geschichte entstand ab 2012, als die Destinační agentura Krušné hory in der Region Ústí nad Labem einen Wettbewerb auslobte, wer oder was das Symbol des Erzgebirges sein sollte. Diesen Wettbewerb gewann die Marzebilla. Und das ganz überzeugend. Seit dieser Zeit ging mir Marzebilla nicht mehr als dem Kopf. Ich dachte ständig darüber nach, wie man sie den Menschen am besten näherbringen, wie ihre Geschichte rekonstruieren bzw. kreieren könnte. Es bot sich nämlich eine einzigartige Chance, die fast unbekannte Figur mit einer Lebensgeschichte zu erfüllen, die sich durch die gesamte Region zieht. Eine große Aufgabe … Von Anfang an spürte ich, dass Dutzende Details im Erzgebirge, die die Region ergriffen, Persönlichkeiten, die die Kultur der Region beeinflussten, etwas gemeinsam haben. Etwas verbindet alle miteinander. Eine rote Linie, die in der Literatur als Epos bezeichnet wird.
Glücklicherweise war auch Eva Maříková von der Destinační agentura Krušné hory ähnlich von Marzebilla besessen. Eva half mir die gesamte Zeit über, am Konzept zu feilen, sie warb Geld für die Dreharbeiten und das Schreiben über Marzebilla ein. Sie erdachte und unterstützte auch die Videoserie Krušné horory (Erzgebirgshorror), das von geheimnisvollen Orten und Erzgebirgslegenden handelt und von Marzebilla moderiert wird. Ich konnte somit durch die Dreharbeiten körperlich und in Gedanken meiner Gestalt ständig nahe sein. Ich drehte zusammen mit Kollegen auch weitere Videos über Marzebilla. Ihre Darstellerinnen waren abwechselnd Klára Syrůčková, Lenka Hodoušová und Jana Veverková. Mädels, euch gilt mein großer Dank.
Die Geschichte von Marzebilla habe ich auch mit vielen Geschichtserzählern konsultiert. Mit einem von ihnen, Petr Himmel aus Křimov, gründeten wir 2015 sogar die gelehrte Gesellschaft der Marzebillogen. Dank Marzebilla lernte ich auch die Illustratorin des Buches, Naďa Hoštová, kennen. Auf mehr als zwanzig Begegnungen in den Regionen Karlovy Vary und Ústí nad Labem feilte ich zusammen mit anderen an der Geschichte von Marzebilla. Viele von ihnen hatten interessante Anregungen und Erlebnisse, die die Gesamtkonzeption des Buches beeinflussten. Auch die Künstler, die bei den Landart-Begegnungen in Königsmühle wirken, widmeten sich Marzebilla. Es entstanden Vitragen, Comics, zwei schöne Lieder als der Feder von Jana Šteflíčková und Josef Šorfa. Zu dem Film Dobyvatelé ztracených štol (Die Eroberer der verlorenen Stollen) komponierte Michal Stolička wunderschöne Musik. Es gibt einen Marzebilla-Brunnen bei Pernink und einen Tanzverein Marzebillen in Hřebečná. Marzebilla hat auch ihre Kolumne in der Zeitschrift LUFT. Vielleicht gibt es mit der Zeit auch einen Magneten für den Kühlschrank, wer weiß. Auf jeden Fall fand dank Marzebilla, der schönen Herrscherin des Erzgebirges, die Jahrestagung böhmischer, mährischer, schlesischer und sudetenländischer Gottheiten nach einhundert Jahren gerade im Erzgebirge statt. Alle „Opas“ (Rübezahl, Altvater, Radegast) waren auf sie gespannt. Und die Jüngeren machten ihr gleich den Hof.
Wie Sie sehen, ist das Buch so etwas wie in Gemeinschaftswerk Hunderter Menschen aus dem Erzgebirge. Sie hat ins Schaffen und Denken vieler Menschen eingegriffen, was ich sehr schätze. Auch deshalb war es so schwierig, das Buch zu einem Ende zu bringen. Beim Kreieren der Handlung, der Einengung der vielen Geschichten auf ein erträgliches Maß und bei den grundlegenden mystischen Attributen der Marzebilla halfen mir Miriam Žlebková, Martin Hájek, Phillip Nosák und meine Frau Klára Mikšíčková. Ein Vorbild für mich waren auch meine Kinder: Matěj und Adam, durch die ich erkenne, wer ich eigentlich bin, wie ich auf Menschen wirke und vor allem: was das Wichtigste auf der Welt ist.
Ursprünglich habe ich das Buch als Drehbuch für einen Film geschrieben, die ganze Geschichte habe ich vor allem als Film vor meinem geistigen Auge gesehen. Auch deshalb ist die Geschichte nicht linear. Sie springt in der Zeit, und die Abschnitte knüpfen eher emotionale als von der Handlung her aneinander an. Die Orte, die Menschen und die Stimmungen: alles kenne ich von Fotografien, Ausflügen und Videos. Zu jedem Ort im Buch gibt es viele schöne Fotografien. Wir konnten sie jedoch nicht ins Buch übernehmen, denn dadurch wäre es zu umfangreich geworden. Deshalb haben wir das Buch nur mit Zeichnungen versehen, und es kommt auf Ihre Phantasie an, wie Sie sich die Orte und Menschen vorstellen. Wenn Sie jedoch die echten Gesichter und Orte sehen möchten, dann schauen Sie sich die Videos und Fotografien an, die Sie unter www.marcebila.cz finden. Die Geschichte sollte ursprünglich ein Film werden, doch 18 Millionen Kronen für die Umsetzung des Projekts einzuwerben überstieg unsere Möglichkeiten. Vielleicht findet sich in Zukunft noch ein Weg, die Geschichte zu verfilmen…
Ich danke also allen tollen Menschen, die sich im Buch wiederfinden oder das Gefühl haben, sich darin zu sehen. Dieses Buch ist eine Ode an die Schönheit und Vielfalt des Erzgebirges und seiner Bewohner damals und heute.
Die regionale Geschichte habe ich noch um die universelle Botschaft von Masaru Emoto ergänzt, die in der Entstehungszeit des Buches tief in mir resonierte. Es ist ein einfacher Gedanke, der aber die Qualität unseres Lebens, unsere Gesundheit und den Zustand unserer Umwelt verbessern kann. Nichts ist so einfach und gleichzeitig so allumfassend und lebenspendend. Nun, lesen Sie das Buch und finden Sie selbst heraus, wovon ich spreche.
Ich danke den Regionen Karlovy Vary und Ústí nad Labem, dem Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, dem Gemeindeverband Osterzgebirge und Eva Maříková von der Destinační agentura Krušné hory, die Marzebilla 2012 wieder zurück ins Erzgebirge geführt und mich zu der Aufgabe inspiriert hat, Marzebilla wiederzubeleben. Ohne sie hätte Marzebilla nie wieder ins Erzgebirge zurückgefunden. Und ich hätte meine sympathische Chefin nicht 🙂
Schluss
Fragen Sie alle Erzgebirger, was das Beste am Leben im Gebirge ist. Was werden sie Ihnen antworten? Ich antworte Ihnen folgendermaßen: Ich sehe, was gerade in der Natur geschieht, und ich kann mit meinen Nächsten darüber auch reden. Die Nähe der Natur, die Begegnungen mit Freunden auf dem Fahrrad, auf Langlaufskiern oder nur einfach so am Rande des Waldes bereiten mir große Freude. Die Gespräche über Pilze, Heidelbeeren, Himbeeren, den Regen und die Sonnenuntergänge.
Die Wolken sind uns nah, sozusagen in Reichweite. Windschatten und windige Hügel finden Sie hier überall. Wir liegen gerade so weit über dem Meeresspiegel, dass man die Plejaden von Wolken schön aus der Nähe genießen kann. Ich kann verfolgen, wenn die bauchigen, müden Wolken wieder aufsteigen, ermattet nach dem langen Aufstieg hoch zum Erzgebirgskamm, über den Kamm hinweg in die Fernen des Landesinneren. Man ist hier über die übliche Hektik der Zivilisation der Täler und Ebenen erhaben. Man schaut von oben auf alles und über alles hinweg, konzentriert sich nur darauf, was im nächsten Tal passiert. Die Welt des Menschen verengt sich von uferloser Flüchtigkeit zur Konzentration auf eine konkrete Landschaft, wo man am eigenen Leib erfahren kann, wie es ist, mit anderen, mit der Natur zu leben. An das Leben in einem solchen Umfeld waren wir von Natur aus gewohnt, und irgendwie ganz tief in uns wissen und spüren wir das. Wir hören die Stimmen in unserem Kopf, denken uns Geschichten und auch Wesen aus – nur um dieses Gefühl und die Kraft zu beschreiben, die uns die Natur und vor allem die des Gebirges verleiht. Die Landschaft um uns herum verändert unumkehrbar den Charakter eines jeden von uns. Mit der Zeit möchten wir schon gar nicht mehr in die Welt unterhalb der Berge fahren, wir spielen das Rekordspiel, wer länger auf dem Kamm ausharrt, ohne nach unten zu fahren. Und dazu brauchen wir auch gar nicht den grauen Nebel unten im Gebirgsvorland zu sehen.
Der Wald, der stets vor meinen Augen ist, hat schön längst die Autobahnen, Staus und die Hektik der Großstadt verdrängt. Und der Wald spricht zu mir. Hat meinen Kopf ausgefüllt. Hat meine nächtlichen Träume und die Tagträume verändert. Das Ergebnis ist dieses Buch – irgendwo tief in mir habe ich gespürt, dass ich die Stimmen zu einem Ganzen zusammensetzen muss. Wie ein Puzzle, denn früher war es schon einmal ein Ganzes, aber wir haben es nicht versucht. Vielleicht hatten Generationen unserer Vorfahren eine solche Geschichte.
Ich hoffe, mein Instinkt und mein Gefühl haben mich in die richtige Richtung, in die uralte Seele des Erzgebirges geführt.